Nicht das erste Mal gab es 2022 Korruptionsvorwürfe um den Landrat des Kreises Ostprignitz-Ruppin in Brandenburg.
Rald Reinhardt wird dabei vorgeworfen sich persönlich durch die Unterbringung von Flüchtlingen bereichert zu haben und dabei mit zwilichtigen und vorbestraften Geschäftsleuten aus der Unterwelt zusammen gearbeitet zu haben.
Ein Artikel des Focus vom 22.11.2022 schreibt dazu:
500.000 Euro Jahresmiete! Im Osten werden Flüchtlingsheime zur Goldgrube
Im Landkreis Ostprignitz-Ruppin kaufen Geschäftsleute auffällig oft Immobilien, die wenig später zu Flüchtlingsheimen werden. Insgesamt flossen fünf Millionen Euro von der Verwaltung an die Investoren. Anzeichen von Begünstigung sind gegeben. Der Landkreis hält trotz Mehrkosten an der Zusammenarbeit fest.
Der anerkannte Erholungsort Flecken-Zechlin ist ein ruhiges und malerisches kleines Dörfchen mit 900 Einwohnern. Doch am 20. Oktober 2022 war es in Aufruhr: Die Verwaltung des Landkreises Ostprignitz-Ruppin hatte zu einem Informationsabend geladen. Worüber informiert wurde, stand 100 Meter vom Veranstaltungszelt entfernt: eine Hotel-Ruine, die seit Jahren leer steht. Dort will der Landkreis eine Flüchtlingsunterkunft mit bis zu 150 Plätzen einrichten.
Neben dem Vorhaben selbst sorgte die Art der Kommunikation für Unmut. Im Januar kündigte der Landkreis den Plan als beschlossene Tatsache an. Die Nachricht traf die Bewohner aus heiterem Himmel: „Wir waren drei Tage unter Schock“, sagt eine Anrainerin. Der Bürgermeister Rheinbergs, Frank-Rudi Schwochow (BVB Freie Wähler), versuchte den Plan noch zu verhindern: mit Klagen, eigenen Info-Veranstaltungen und Social-Media-Videos. Über den Streit erschienen über 20 Artikel, zuletzt eine lange Recherche der MAZ .
Rund 150 Menschen waren zu dem Infoabend gekommen. Während die Fragen an Landrat Ralf Reinhardt (SPD) immer kritischer wurden, stand etwas abseits ein Mann im blauen Anzug. Es war der Eigentümer des Hotels, einer der zwei „langjährigen Partner“ des Kreises, die seit 2015 oft dem Landkreis zur Seite gestanden hätten, wie der Landrat anerkennend sagte.
Adrian Garcia-LandaLandrat Ralf Reinhardt beim Info-Abend am 20.10.22 in Flecken-Zechlin
Fünf Millionen Euro seit 2015 und Anhaltspunkte für Begünstigung
Egal, welche Motivation diese Hilfsbereitschaft hatte, sie hat sich für die Geschäftsleute jedenfalls gelohnt: Seit 2015 erhielten sie vom Landkreis rund fünf Millionen Euro. Wird die geplante Flüchtlingsunterkunft in Flecken-Zechlin verwirklicht, fließen weitere fünf Millionen Euro. Dabei erlauben viele Anhaltspunkte einen Verdacht auf Begünstigung:
- Vier Mal kauften die beiden Immobilien, die kurz danach Flüchtlingsheime wurden. Seit 2015 erhielten sie rund drei Millionen Euro an Mietzahlungen.
- Als zwei Heime kürzer als geplant genutzt wurden, zahlte der Landkreis Entschädigungen in Höhe von insgesamt 1,6 Millionen Euro. Ob diese Zahlungen zwingend waren, ist unklar.
- Ein Gebäude mietete der Landkreis nicht direkt vom Eigentümer, sondern nur über die Geschäftsleute. Sie pachteten das Gebäude und vermieteten es für das Dreifache. Die Mehrkosten belaufen sich auf über 500.000 Euro.
- Die Verträge mit den Geschäftsleuten hält der Landkreis unter Verschluss. Abgeordnete des Landkreises sahen ihr Recht auf Akteneinsicht drastisch eingeschränkt. Anfragen auf Akteneinsicht der Presse ignoriert die Verwaltung bis heute.
Für den Artikel nennen wir die beiden Unternehmer Schmidtke und Peters, die realen Namen liegen der Redaktion vor. Um den Verdacht auf Begünstigung zu verstehen, müssen die Geschäfte der beiden detaillierter beschrieben werden. Zuvor sei angemerkt, dass das Gebaren von Schmidtke und Peters alles andere als diskret ist, im Gegenteil, es erregt Aufsehen.
Adrian Garcia-LandaMit diesem Minibus mit russischem Kennzeichen werden die Arbeiter auf die Baustelle des zukünftigen Heims gefahren
Nachbarn des geplanten Flüchtlingheims in Flecken-Zechlin berichten: Das Bauschild ist nicht an der Grundstückskante angebracht, sondern am Gebäude selbst. Dorthin gelangt man nur, wenn man beim Sicherheitsdienst seine Personalien hinterlegt. Arbeiter werden per Minibus mit russischem Kennzeichen befördert. Schmidtke und Peters selbst führen in unterschiedlichen Luxus-Autos vor und seien gegenüber Nachbarn wenig zuvorkommend.
Erstaunlich gut informiert über lukrative Deals
Im November 2021 kaufte Peters mit seiner Firma Lehmann Investment 2.0 GmbH das alte Hotel in Flecken-Zechlin. Das stand seit 2012 leer. Im Januar 2022 erklärte der Landkreis, dort ein Flüchtlingsheim einrichten zu wollen. Der Kaufpreis betrug 470.000 Euro, die jährliche Miete des Landkreis liegt zwischen 480.000 und 504.000 Euro.
Im Sommer 2015 erwarb Schmidtke zwei Ausbildungshotels vom lokal bekannten Träger, die Initiative Jugendarbeitslosigkeit Neuruppin e.V. (IJN). Auch diese wurden kurze Zeit danach zu Flüchtlingsunterkünften. Die Hotels lagen in weiteren Ortsteilen Rheinsbergs: Zechlinerhütte und Luhme. Ende 2014 kaufte Schmidtke über die Firma JXImmo GmbH das ehemalige Mutter-Kind-Heim des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Wusterhausen / Dosse. Zwischen Kauf und Vermietung als Flüchtlingsheim an den Landkreis lagen wenige Wochen.
Zu dieser Informationslage meint Landkreis-Presseprecher Alexander von Uleniecki, dass „der Immobilienmarkt in Ostprignitz-Ruppin überschaubar sei und Investoren keine Probleme haben dürften, für sie geeignete Objekte ohne irgendein so genanntes ‘Insiderwissen’ zu finden.“
Trotz Geldmangels großes Entgegenkommen der Verwaltung
Die oben erwähnten Ausbildungshotels kosteten zusammen 1,8 Mio. Euro. Schmidtke und Peters machten lediglich eine Anzahlung über 70.000 Euro und konnten damit als Eigentümer Mietverträge mit dem Landkreis vereinbaren. Dank der dadurch fließenden Mieten – insgesamt 40.300 Euro monatlich – verhandelten sie einen Mietkauf mit dem Verkäufer. Die Mieten des Landkreises leiteten sie eins zu eins als Kreditraten weiter.
Auszug aus dem Mietkaufvertrag des Ausbildungshotels der IJN e.V. vom Herbst 2015
Der Verkäufer erhielt für den gewährten Kredit zehn Prozent Zinsen, dadurch erhöhte sich der Kaufpreis von 1,8 auf 2,1 Millionen Euro. Schmidtke und Peters leisteten eine Anzahlung von weniger als vier Prozent, ihre Immobilien wurden durch die Mieten abbezahlt. Ein Dreiecksgeschäft mit einem Verlierer: der Landkreis.
Zusätzlich zahlte der Landkreis hohe Entschädigungen. Da die Flüchtlingszahl zurückging, gab der Kreis die Unterkünfte früher als vorgesehen auf. Die entstandenden Mietausfälle wurden mit einer Zahlung von 1,6 Mio. Euro entschädigt. War die Entschädigung notwendig? Laut BGB sind Verträge bei Wegfall der Geschäftsgrundlage anpassbar: Die Flüchtlingszahlen hatten sich stark verändert.
Unterm Strich betrachtet war das Geschäft mit den Ausbildungshotels für Schmidtke und Peters glänzend: Sie leisteten anfangs eine Investition von 70.000 Euro, vier Jahre später hatten sie 1,6 Mio. Euro.
Glänzende Immobiliengeschäfte auch in Wusterhausen
Auch das schon erwähnte Heim in Wusterhausen wurde eine Goldgrube. 2014 kaufte es Schmidtkes Firma, die JXImmo GmbH, für 300.000 Euro. 2020 wurde es für 732.000 Euro weiterverkauft. Käufer war die Firma Lehmann Europa GmbH, deren Geschäftsführer Peters ist. 2022 wurde das Flüchtlingsheim erneut verkauft, diesmal für 2,4 Mio. Euro. In der Zeit flossen 1,2 Mio. Euro Miete. Das Heim gehört jetzt in Teilen einem Berliner Geschäftsmann, der im Mittleren Osten, in Kasachstan und in Katar Gasturbinen und Pumpstationen baute.
Auszug aus dem Kaufvertrag vom Januar 2022 zwischen der Lehmann Europa GmbH und der FR23 GmbH
Die Gesellschafter der Lehmann Europa sind ähnlich weit gestreut: Eine Firma stammt aus der Oberpfalz, eine aus Südkorea und die dritte aus Singapur. Geschäftsführer dieser Firma ist Jörg Walberer, ehemaliger Chefredakteur der Zeitschriften Gala und Hörzu. Flüchtlingsheime scheinen bei den unterschiedlichsten Investoren weltweit begehrt zu sein.
Adrian Garcia-LandaAuszug aus dem Gesellschaftsvertrag der Firma Lehmann Europa GmbH
Landkreis verweigert direkte Anmietung
Ein Beispiel erlaubt den Verdacht auf Begünstigung: Der Eigentümer eines Gasthofs in Klosterheide bot 2014 dieses dem Landkreis als Flüchtlingsunterkunft an. Doch der Landkreis lehnte ab.
Daraufhin pachtete Schmidtke den Gasthof über einen Mittelsmann und bot ihn erneut dem Landkreis an. Trotz dreifacher Miete willigte die Verwaltung ein und zahlte 21.300 statt 6.000 Euro. In drei Jahren Nutzung summierte sich der Unterschied auf knapp 540.000 Euro.
Kreistags-Abgeordneter und Anwalt Hans-Georg Rieger bestätigt den Vorgang. Auf Anfrage sagte der Sprecher des Landkreises: „Die Zahlen können wir nicht bestätigen. Ein Problem im Umgang mit öffentlichen Geldern sehen wir nicht.“ Zusätzlich hätte der Zustand des Gasthofes eine Vermietung unmöglich gemacht.
Intransparente Informationspolitik
Die Vereinbarungen zwischen Schmidtke, Peters und dem Landkreis hält dieser unter Verschluss. Einer Handvoll Abgeordneter des Landkreises gewährte die Verwaltung nur eingeschränkt Akteneinsicht. Ein Termin kam erst nach Monaten zustande, war auf eine Stunde begrenzt, erlaubt waren nur Notizen per Hand, über die Inhalte reden war verboten, es drohten Geldstrafen. „Wenn ich mit niemanden darüber reden darf, wie soll ich dann meine Kontrollaufgabe wahrnehmen?“, klagt Kreistagsmitglied Siegfried Wittkopf.
Adrian Garcia-LandaAuszüge aus der Verschwiegenheitsverpflichtung des Landkreises. Ob sich das Recht auf Akteneinsicht derart beschneiden lässt, ist fraglich
Der Landkreis meint dazu, der Akteninhalt sei „bei durchschnittlicher Lesebegabung innerhalb des genannten Zeitraumes deutlich zu erfassen“. Der 71-jährige Wittkopf entgegnet: „Lassen sich zehn mehrseitige Verträge in einer Stunde analysieren?“ Das alles sei auf „gesetzlicher Grundlage“ geschehen, so der Landkreis. Die gewährte Einsicht unterstütze sogar die Kontrolle, aber Vertragsinhalte seien „grundsätzlich nichtöffentlich“.
Die Ergebnisse der Recherchen wurden Schmidtke und Peters vorgelegt. Peters meinte, diese seien „größtenteils aus der Luft gegriffen und vollkommen falsch, sodass sie jeder Realität entbehren“, der Artikel sei Teil einer „Schmuddelkampagne“. Schmidtke war trotz vieler Briefe, mehrerer Mails und Anrufe seiner Geschäftspartner, darunter auch Peters, nicht zu erreichen.
Der Bürgermeister von Rheinsberg, Frank-Rudi Schwochow, sieht seine Skepsis durch die Veröffentlichungen der MAZ und von FOCUS online bestätigt. Er erstattete Strafanzeigen bei den LKAs Brandenburg und Berlin, benachrichtigte den Rechnungshof Brandenburgs sowie die Antikorruptionsabteilung mit Sitz in Neuruppin.
Die Geburtsstadt Fontanes wird allerdings auch Korruppin genannt: Dort verurteilte man Mitte der 2000er Jahre einen Lokalpolitiker wegen Drogenhandel und illegalem Glückspiel. Ein Chef der Stadtwerke veruntreute 600.000 Euro zu Gunsten eines Fußballklubs. Die Tradition scheint fortzuleben, nur geht es diesmal um ein paar Millionen Euro.
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